Wenn man einem Affen eine Aufgabe und als Lohn dafür Gurkenstückchen gibt, ist er damit zufrieden, und er wiederholt die Aufgabe dutzende Male. Belohnt man aber den Affen im Nebengehege für die gleiche Aufgabe mit Trauben, beginnt der erste Affe zu rebellieren, weil er sich ungerecht behandelt fühlt. Zu sehen im folgenden Video ab Minute 12:30.
Lustig an der Szene ist unter anderem der beschränkte Horizont des Affen. Für sein Gerechtigkeitsempfinden spielt all das eine Rolle, was sich im Augenblick in seinem Blickfeld abspielt. Was gestern oder was morgen war, und was sich im Raum nebenan abspielt, spielt keine Rolle. Was aber im angrenzenden Käfig geschieht, ist von grosser Bedeutung. Er fordert eine leistungsgerechte Entlohnung für alle Affen in seinem Blickfeld.
Und im Prinzip genau das Gleiche fordern die Juso mit ihrer 1:12-Initiative. Mit dem kleinen Unterschied, dass deren Blickfeld immerhin ein Unternehmen (bzw. den Schweizer Teil eines Unternehmens) umfasst.
Von aussen betrachtet mutet das etwa gleich lustig an. Der Horizont reicht weder ins Nachbarbüro (wo eine andere Firma einquartiert ist), noch zum Mitarbeiter ennet der Landesgrenze, noch ins Jahr zuvor und danach. Ja, wenn man den Blickwinkel genügend verengt, scheint die Sache mit der Gerechtigkeit sogar lösbar. Verändert man aber den Blickwinkel, merkt man, dass gar nichts gerechter geworden ist dadurch. Die Einsicht könnte schmerzhaft sein, denn eine globale 1:12-Lohnspannbreite würde auch den Schweizer Juso die Aussicht auf Wohlstand vernichten.
Ebenso «lustig» ist die Beschränkung der Initiative auf das Erwerbseinkommen. Wenn man betrachtet, wie die reichsten Schweizer reich geworden sind, dann stellt man fest, dass dies nicht durch Lohnzahlungen geschah, sondern durch Besitz (und Aufbau) von florierenden Unternehmen sowie durch Erbschaften. Wieso empört sich die Linke nicht mindestens ebenso über die Bertarellis, Wyss’, Louis-Dreyfuses und Schmidheinis, wie sie sich über die Vasellas und Ospels empört? Ich verstehe es nicht. Und ich habe den Verdacht, dass es die Juso auch nicht verstehen.
Ich habe nichts gegen diese Affen, aber ich denke, als Menschen sollten wir es schaffen, etwas genauer zu betrachten und reflektieren, was da geschieht. Mit dem Gerechtigkeitsgefasel – egal ob es von links, von rechts, oder aus der Mitte kommt – werden bloss Menschen gegeneinander ausgespielt: Fussballprofis gegen Platzwarte, Bankerinnen gegen Lehrerinnen, Working poors gegen Sozialhilfebezüger. Was bringt es dem Platzwart objektiv, wenn der Fussballer maximal 12 mal so viel verdient wie er? Was bringt es dem Sozialhilfebezüger objektiv, wenn er «gerechterweise» so wenig Geld erhält, weil ja der Working poor auch nicht viel mehr hat? Ein solcher Gerechtigkeitsbegriff, der sich auf Vergleiche mit Anderen beschränkt, macht uns bloss alle unglücklich und missgünstig.
Ausgerechnet die Bibel (von der ich in moralischen Belangen nicht viel halte, nachträglich angemerkt) hat bereits einen anderen Gerechtigkeitsbegriff angeboten:
Da begannen sie, über den Gutsherrn zu murren, und sagten: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleichgestellt; wir aber haben den ganzen Tag über die Last der Arbeit und die Hitze ertragen. Da erwiderte er einem von ihnen: Mein Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart? Nimm dein Geld und geh! Ich will dem letzten ebenso viel geben wie dir. Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder bist du neidisch, weil ich (zu anderen) gütig bin?
Gerecht ist, was freie Menschen miteinander aushandeln. Der eine zahlt für ein Auto 30’000 Franken, der andere kriegt das Auto geschenkt. Ist das gerecht? Ja. Denn niemand ist gezwungen, ein Auto für 30’000 Franken zu kaufen. Entweder du gehst auf das Angebot ein und wirst handelseinig, oder du lässt es eben bleiben. Was andere irgendwann irgendwo auf der Welt für Händel machen, ist unerheblich für die Beurteilung, ob ein Handel gerecht ist. Und das sollte auf dem Arbeitsmarkt nicht anders sein. Wenn sich ein Stellensuchender mit einem Stellenanbieter auf einen Lohnbetrag einigen können, dann ist dieser per se gerecht – egal ob es irgendwo jemanden gibt, der für die gleiche Arbeit mehr Geld oder für weniger Arbeit gleich viel Geld erhält. Auf dem Arbeitsmarkt ist jeder ein Händler, ein Unternehmer seiner Ich AG.
Jetzt kommt das grosse Aber: Leider sind viele Menschen auf dem heutigen Arbeitsmarkt nicht frei. Frei ist ein Mensch auf dem Arbeitsmarkt dann, wenn er wirklich Nein sagen kann zu einem Angebot. Wir verwehren aber vielen Menschen diese Exit-Option – aus den gleichen verfehlten «Gerechtigkeits»-Gründen wie oben beschrieben. Denn eine reale Exit-Option hat nur, wer bei einem Verzicht auf den Handel nicht um seine Existenz fürchten muss. Das würde ein bedingungsloses Grundeinkommen voraussetzen. Geld ohne Arbeit – das ist aber mit der links wie rechts vorherrschenden Gerechtigkeitsvorstellung nicht vereinbar.
Darum wird sich am Gerechtigkeitsdiskurs so schnell auch nichts ändern. So lange die Liberalen sich weigern zu verstehen, dass ihr Postulat der «Leistungsgerechtigkeit» der Linken in die Hände spielt, so lange wird die Linke leichtes Spiel haben, den Staatsinterventionismus immer weiter auszubauen. Denn sie wird nach jeder neuen Intervention feststellen, dass die Welt immer noch nicht «gerecht» ist. Und es wird den Menschen einleuchten – insbesondere jenen, die die Existenzangst kennen. Irgendwann wird auch das schweizerische Arbeitsrecht so dicke Ordner füllen wie das französische.
Darum ist meine leise Hoffnung, dass nach einem knappen Nein zur 1:12-Initiative vielleicht dem einen oder anderen Liberalen ein Licht aufgeht, dass das bedingungslose Grundeinkommen die bessere Option ist als das Festhalten an der Vorstellung eines «leistungsgerechten» Lohnes.